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Channel: Gothic Reisetipps – StĂ€dte – Der schwarze Planet
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Der Pestfriedhof von Rouen

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Wer von euch mag FachwerkhĂ€user? Und wer Rosa Crux? Wer steht auf SchĂ€del und Gebein? Wer mindestens eine der drei Fragen mit ICH beantworten kann, sollte sich schon mal seine Liste mit Reisezielen zurecht rĂŒcken. Darauf ist zu notieren: AĂźtre Saint-Maclou, Rouen, Frankreich. Der von FachwerkhĂ€usern atriumartig eingerahmte „Friedhof bei der Kirche“ (= AĂźtre) Saint-Maclou ist ganz was Besonderes, allein deshalb, weil es auf diesem Friedhof nie so typische GrĂ€ber gab. Obwohl der Tod hier lange residierte – insbesondere wĂ€hrend der Pestepidemien im 14. und 16. Jahrhundert – zeugen heute nur noch Schnitzereien davon. Doch dieser Beinhaus-Friedhof und seine Geschichte haben es in sich.

rosa-crux-bandlogoAuch dieses Jahr konnten wir uns das dunkle Rosa Crux Ritual (Les Nuits Dark Ritual) nicht entgehen lassen. In bewĂ€hrter Formation zu dritt fuhren wir am ersten August-Wochenende zum ChĂąteau de Thoix – einem idyllischen Landsitz in der nordfranzösischen Picardie. Die Konzerte, Performance und Rituale beginnen immer erst Samstagabend gegen 20 Uhr. So hatten wir den ganzen Nachmittag Zeit Rouen zu besuchen. Hier studierten die beiden Rosa Crux Köpfe Olivier Tarabo und Claude Feeny an der Akademie der schönen KĂŒnste, die sich damals zu Zeiten der BandgrĂŒndung 1984 wie auch heute auf dem GelĂ€nde des ehemaligen Pestfriedhofs AĂźtre Saint-Maclou befindet. Und hier holten sich Rosa Crux ganz eindeutig auch einige ihrer Inspirationen


Circa 1,5 Stunden brauchten wir in aller GemĂ€chlichkeit ĂŒber die französischen Landstraßen bis nach Rouen. Völlig unbemerkt ging’s von der Picardie in die Normandie. Vorbei an verschlafenen Dörfern, beige-farbenen oder ver-/geklinkerten HĂ€usern, schönen GĂ€rten, steinigen Friedhöfen mit Kieswegen und kaum Menschen auf der Straße. Samstag nachmittag – wo waren sie denn alle? Schon im Sonntagsmodus oder gibt es hier auch Siesta wie in Italien? Egal, in Rouen krabbelten dann wieder genĂŒgend herum und alles war wie immer. Wir fanden einen Parkplatz in der Straße, die zum Pestfriedhof fĂŒhrte. Obwohl das in der Innenstadt war, lief auch hier alles in Slow Motion. Friedlich, sonnig, entspannt und manche lĂ€chelten uns sogar an. Uns, die Enfant terriblĂ©s, die wir offenbar gar nicht waren. 😛 Sehr offen und gechilled, diese Franzosen!

Die schöne Kirche von Saint Maclou "von hinten"
Die schöne Kirche von Saint Maclou „von hinten“

ZunĂ€chst fiel mir das wunderschöne „Hinterteil“ der Kirche Saint-Maclou auf, so dass ich direkt mal am Pestfriedhof vorbeilief. Aber unser „schwarzer Bruder“ AndrĂ© fĂŒhrte mich auf den richtigen Weg zurĂŒck zu SchĂ€del und Gebein. Der Eingang versteckte sich etwas zwischen den HĂ€userfronten einer ganzen Reihe schöner alter (Fachwerk-)HĂ€user. Durch einen lichten Hofgang im Fachwerkstil ging es nach hinten durch bis zum Eingang des Aitre Saint Maclou. Die TĂŒr und fast alles war aus uraltem, dunklen Holz grob gezimmert. Schon das „Oberlicht“ der TĂŒr kĂŒndete dem Besucher an, was ihn erwartete: SchĂ€del, Gebein, Spitzhacke und Schaufel waren abgebildet. Hier waren wir richtig!

eingang-friedhof-saint-maclou

Ein großer Innenhof mit einem bebaumten Platz in der Mitte öffnete sich vor uns, von allen vier Seiten eingeschlossen von FachwerkhĂ€usern. Der Platz im Innenhof Ă€hnelte einem Atrium – daher der Name „AĂźtre“ –  von HĂ€usern im antiken Rom: unbedacht, begrĂŒnt und alle umliegenden GebĂ€ude/RĂ€ume waren ĂŒber ihn zugĂ€nglich.

pestfriedhof-rouen-innenhof
Man sieht die SchÀdel vor lauter BÀumen nicht

Panorama Aitre Saint Maclou
Danke fĂŒr dieses Panorama-Weitwinkel-Foto an AndrĂ© 😉

 

Nun kann man an den HĂ€userfassaden entlanglaufen, das alte Fachwerk bewundern und findet sich irgendwie im Rosa-Crux-Land wieder. In so ziemlich jeden StĂŒtz- und Querbalken des Fachwerks sind Objekte ins Holz geschnitzt, die einen Bezug zum Friedhof oder zur Beerdigungszeremonie haben:

  • Knochen: SchĂ€del, Kiefer, Oberschenkelknochen, SchulterblĂ€tter, Rippen und HĂŒftknochen
  • liturgische GegenstĂ€nde der Totenmesse: MessbĂŒcher, Kerzen, Kreuze, Oblaten, Glocken
  • Dinge, die mit der Kreuzigung von Christus zu tun haben: NĂ€gel, Peitschen
  • TotengrĂ€ber-Werkzeug: Schaufeln, Spitzhacken, SĂ€rge

 

rouen-saint-maclou-beinhaus

rouen-friedhof-saint-maclou

beinhaus-rouen-detail

Und alles war noch immer gut erkennbar, obwohl die Schnitzereien schon 400-500 Jahre alt sind und ein Feuer ĂŒberstanden hatten (1758). Aber wie kommt es, dass man auf diesem „Friedhof“ die GrĂ€ber vergeblich sucht? Das liegt daran, dass der Pestfriedhof eher ein Massengrab mit Beinhaus war. Zeit fĂŒr etwas Geschichte zu diesem außergewöhnlichen Ort und Bauwerk


1253 wurde die recht große, stark bevölkerte Gemeinde Saint-Maclou in Rouen eingemeindet. Hier schlug das Herz der fĂŒr Rouen bedeutenden Textilproduktion.

Kirche Saint-Maclou von vorn - Gotik Overdose!
Kirche Saint-Maclou von vorn – Gotik Overdose!

Das AĂźtre Saint Maclou wurde im Zentrum der Gemeinde erbaut – wĂ€hrend der ersten schlimmen Welle der schwarzen Pest im Jahr 1348. Ca. 3/4 der Bevölkerung Rouens starb in dieser Zeit. Der Ă€ltere Friedhof an der Kirche Saint-Maclou wurde fĂŒr die vielen Pesttoten zu klein und wurde mit dem neuen „Pestfriedhof“ Saint-Maclou ersetzt.

Knapp zwei Jahrhunderte spĂ€ter gab es einen neuen Ausbruch der Pest, weshalb 1521/22 die AufnahmefĂ€higkeit des Pestfriedhofs erhöht werden musste. Dazu wurden zwischen 1526-1533 drei GalerieflĂŒgel rund um den Friedhof erbaut, der damals wohl mehr oder weniger einem großen Massengrab glich. Jede Galerie hatte einen Dachboden, der als Beinhaus genutzt werden sollte.

Noch schnell ein Bild vor der Behandlung mit Ätzkalk
Noch schnell ein Bild vor der Behandlung mit Ätzkalk

WĂ€hrend der Pest, als sowohl die Anzahl der Leichen als auch die Gefahr der Ansteckung stieg, Ă€nderten sich die Beerdigungspraktiken drastisch: die Toten wurden in ein Leichentuch gehĂŒllt und dann planlos in große Gruben in der Mitte des Friedhofs geworfen (also dort wo heute die BĂ€ume stehen). Nachdem das Beinhaus fertiggestellt war, exhumierten TotengrĂ€ber die Knochen, sobald das Fleisch verwest war. Dieser Prozess wurde beschleunigt durch die Nutzung von Ätzkalk.

Ganz frĂŒher muss das Erdgeschoss noch ein Arkadengang und kein geschlossenes GebĂ€ude gewesen sein, getragen von verzierten SĂ€ulen, die u.a. den Totentanz im West- und OstflĂŒgel darstellten. Gut zu sehen ist das im Bild von E.H. Langlois (Maler, Graveur, Schriftsteller, lebte in Rouen). Die GaleriegebĂ€ude standen (und stehen vielleicht noch?) auf einem Massengrab und es gab frĂŒher wohl auch ein paar richtige GrĂ€ber im Boden und Grabnischen in den WĂ€nden.

Blick vom West-FlĂŒgel auf den Nord-FlĂŒgel im AĂźtre Saint-Maclou // Gravierung von E.H. Langlois
Blick vom West-FlĂŒgel auf den Nord-FlĂŒgel im AĂźtre Saint-Maclou // Gravierung von E.H. Langlois

 

Mitte des 17. Jhd. wurde ein neues GebĂ€ude am sĂŒdlichen Ende des Friedhofs gebaut, so dass aus dem Drei-Seiten-Friedhof ein Vier-Seiten-Hof wurde. In den SĂŒdflĂŒgel hielt eine Armenschule fĂŒr Jungen Einzug. 1745-49 wurden auch die bestehenden Beinhaus-GebĂ€ude renoviert, damit sie als KlassenrĂ€ume dienen konnten. Vermutlich wurden erst dann wirklich Fenster und RĂ€ume in den Arkadengang des Ost-/West- und NordflĂŒgel eingezogen. Übrigens: Der Friedhofsbetrieb wurde parallel zum Schulbetrieb beibehalten. Da hatten die Jungs gleich etwas praktische „Sepulkralkunde“. 😛

Der SĂŒdflĂŒgel ist direkt rechter Hand, wenn man zum Eingang hineinkommt. Er besitzt gleich zwei Besonderheiten – achtet mal darauf, wenn ihr dort seid:

1. Obwohl man sich beim Bau bemĂŒhte ihn mit den anderen drei FlĂŒgeln zu harmonisieren, sieht man ein paar Unterschiede, wenn man genau hinschaut (und es weiß 😉 ). Seine SĂ€ulen reichen bis zum Fußboden, wĂ€hrend sie bei den anderen auf einem knapp 50 cm hohen Steinsockel enden, der frĂŒher den Arkadengang begrenzte. Zudem sind die SĂ€ulenkapitelle nicht dekoriert mit Figuren, sondern nur auf korinthische Art mit Blattwerk.

NachgerĂŒsteter SĂŒdflĂŒgel
NachgerĂŒsteter SĂŒdflĂŒgel
zum Vergleich: OstflĂŒgel
zum Vergleich: OstflĂŒgel

2. Ziemlich nah am Eingang in einer Mauernische des SĂŒdflĂŒgels sieht man eine Katzenmumie hinter Glas. Dies war ein Bauopfer, fĂŒr das man frĂŒher hĂ€ufig Tiere (lebend) mit eingemauert hat. Man glaubte, dass eingemauerte Tiere das Böse und eben auch Krankheiten, wie die Pest, fernhielten.[1]

Im 18. Jhd. ĂŒbernahmen die Christlichen BrĂŒder (weltweit tĂ€tiger Laienorden der römisch-katholischen Kirche, die sich besonders der JugendfĂŒrsorge und Jugendbildung verschrieben hatten) die Schule und blieben dort bis 1907. Lediglich wĂ€hrend der französischen Revolution (1792-1819) wurde das AĂźtre Saint-Maclou fĂŒr alles mögliche andere genutzt, u.a. als Baumwollspinnerei und Waffenmanufaktur. 1779 mussten alle Friedhöfe innerhalb der Stadtgrenzen auf königliches Geheiß schließen. So wurde auch unser Pestfriedhof 1781 geschlossen und durch den Mont Gargan Friedhof ersetzt, der außerstĂ€dtisch lag. Was allerdings mit den Gebeinen geschah, habe ich nicht herausgefunden. In den Dachböden lagern sie sicher nicht mehr, sonst hĂ€tte man wohl schon mal was vom „Tag der offenen Dachböden“ in Rouen gehört. Mit anderen Worten: ein Beinhaus wĂŒrden uns die Franzosen doch garantiert nicht vorenthalten!

rouen-aitre-saint-maclouNach den Christlichen BrĂŒdern zog in den ehemaligen Pestfriedhof 1911 ein MĂ€dcheninternat ein. Als dieses geschlossen wurde, wurde die Friedhofsanlage zum Verkauf angeboten. Erst 1927 wurde das Aitre Saint-Maclou Eigentum der Stadt Rouen, sie plante hier ein Museum fĂŒr Kunst der Normandie zu errichten. 1930 starteten die Renovierungsarbeiten. Aber die GebĂ€ude wurden erst genutzt als 1940 die Akademie der schönen KĂŒnste hier herzog, nachdem sie aus ihrem bisherigen GebĂ€ude Halle aux Toiles durch ein Feuer vertrieben worden war. Und bis heute ist der Pestfriedhof Saint Maclou das Zuhause der regionalen Akademie der schönen KĂŒnste mit ca. 180 Studierenden. Wir sahen keinen einzigen davon, aber schlimm war das nicht.

Danach schlenderten wir noch gemĂŒtlich durch die Altstadt von Rouen. Wirklich eine sehenswerte, schnukkelige Stadt mit tollen gotischen Kirchen, alten HĂ€usern, jeder Menge AntiklĂ€den und natĂŒrlich der riesigen, wunderschönen, berĂŒhmten Kathedrale. Auf dem Marktplatz davor wurde 1431 meine historische VorgĂ€ngerin Jeanne D’Arc hingerichtet, besser gesagt als „notorisch rĂŒckfĂ€llige Ketzerin“ auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Fast 600 Jahre spĂ€ter kann ich, Shan Dark, unbehelligt & entspannt mit zwei schwarzen GefĂ€hrten durch die Gassen bummeln. Die guten Zeiten sind jetzt! [2]

Rouens Super-Kathedrale garniert an Sommerflieder
Rouens Super-Kathedrale garniert an Sommerflieder

 

Route planen zum AĂźtre Saint-Maclou in Rouen & Gothic Guide

Alles Wichtige aus dem Artikel auf einer Seite zum Ausdrucken und Mitnehmen auf Reisen: Gothic Guide-Aitre Saint Maclou Rouen kostenlos herunterladen!

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  1. [1]Quelle: http://www.fachwerkhaus.de/das-fachwerkhaus-am-pestfriedhof.html↩
  2. [2]Welch wahrer Spruch meines guten Freundes Schatten! ;) ↩
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