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Die vierbeinigen Grabwächter von Rom

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Bald soll es wärmer werden, sagt man. Vormittags und auch nachmittags. Vielleicht sogar in Deutschland. Garantiert aber in Italien. Dort empfiehlt es sich – egal in welcher Stadt man gerade ist – zum Durchatmen einen schattigen Friedhof aufzusuchen. Unterwegs nach Sizilien zu den Mumien von Palermo blieben wir 4 Tage und Nächte in Rom hängen – und vergaßen dabei völlig die Zeit. Ach, Rom! Du bist eine Offenbarung in vielerlei Hinsicht. Riesig, romantisch, rastlos, wahrhaft ewig und einzigartig. Und schmerzvoll für die Füße. Die heftigsten Blasen meiner Touristenkarriere habe ich mir wohl in Rom gelaufen. Einen nicht zu vernachlässigenden Anteil daran hatte der größte Friedhof Roms, der Cimitero del Verano.

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Monumentalfriedhof Campo Verano

Haupteingang Cimitero del Verano mit vier Empfangsdamen am Portal
Haupteingang Cimitero del Verano mit vier Empfangsdamen am Portal

Wer von euch gern einmal ein Multi-Level-Game in echt spielen möchte, sollte Il Verano zwingend aufsuchen. Ich habe mit ihm meine Orientierungskräfte gemessen, aber stand kurz vor Friedhofstorschluss wie ein schwankender Gladiator in einem Labyrinth aus Gräbern. Dieser Friedhof hat es geschafft, dass ich nicht mal mehr ein Fitzelchen Plan hatte, wo ich mich überhaupt befand. Ein recht seltener Zustand. Ich, die ich Orientierungspläne stets ablehne, wünschte mir, dass irgendwo eine Infotafel mit einer Friedhofskarte auftauchen möge. Fehlanzeige. Es gab wohl am Eingang Faltblätter mit einer „Mappa Verano“ – aber wo war noch mal der Eingang? Genau den suchte ich und gleichzeitig auch das Grab von Marcello Mastroianni oder Sergio Leone. Auf dem Verano liegen nämlich die Reichen, die Berühmten und die Schönen und er ist bis heute so begehrt, dass es die Stadt Rom sogar schafft, seine ungenutzten Grabstätten meistbietend im Internet zu versteigern. Für manch opulentes Grufthaus werden über 100.000 € geboten. Wer ein ewiges Apartment mitten in Rom haben möchte muss eben auch etwas springen lassen.

Melancholie
Melancholie
Trauer
Trauer
Trost
Trost
Hoffnung
Hoffnung

[divider] Der Cimitero del Verano ist eine ruhige Totenstadt mitten im lebendigen Rom. So riesig wie die italienische Hauptstadt ist auch ihr katholischer Friedhof. Anfangs schlenderte ich entspannt geradeaus, dann sah ich links einen Hügel, der mich zu einer reich verzierten Traumgruft hinauflockte. Sie stand wie in der Mitte eines Verkehrsberuhigungskreisels und sechs Friedhofsgassen gingen von ihr ab. Welche nehmen? Ich folgte einer, hüpfte nach einer Weile zur parallel verlaufenden Gasse, weil mich eine schöne Statue oder ein interessantes Grab anzog und kam so von einem Weg zum anderen. Oft verdeckten mir fette Zypressen und stämmige Zedern den Blick. Der Verano ist ein extrem grüner Friedhof, insbesondere für südeuropäische Verhältnisse.

grabmal-rom-friedhof-veranoPlötzlich führten vor mir Treppen nach oben, über die man das nächste Level erreichen konnte. Es ähnelte von der Dimension her einem Maya-Tempel, allerdings nur mit zwei Etagen. Hier im ersten Stock stand wieder Nobelgruft an Luxusgruft. Alle waren sie mal mehr, mal weniger angenagt vom Zahn der Zeit. Hinter einer Urnenmauer ging es noch weiter nach oben ins zweite Stockwerk, einem langgezogenen Plateau. Hier auf dem oberen Level standen prunkvolle Nekropolen entlang zweier paralleler Gassen. Wie von einer Art Aussichtsplattform konnte ich weit über den Friedhof blicken. Auf Bäume, auf Gräber, auf kleine Wege entlang von Felsgrab-Mauern. Was ich nicht sah: das Ende des Campo Verano. Oder zumindest mal einen Rand. Unheimlich war das.

Blick vom 2. Stock der friedhöflichen Aussichtsplattform auf den Campo Verano
Blick vom 2. Stock der friedhöflichen Aussichtsplattform auf den Campo Verano

„Achtung, eine Durchsage für den Friedhofswärter! Die kleine Shan möchte bitte im römischen Friedhofsparadies abgeholt werden. Ich wiederhole…“
Okay, ‚klein‘ ist etwas untertrieben – aber so eine Durchsage wünschte ich mir.

Hallo, ist hier noch was frei für eine Nacht?
Hallo, ist hier noch was frei für eine Nacht?

Es bestand nämlich die reale Gefahr, dass ich hier übernachten musste. Spätestens als die ersten Abendsonnenstrahlen über die Gräber glitten wurde ich mir dessen bewusst. Der Gedanke war mir unangenehm. Mein Flüssigkeitshaushalt war im Keller, an den Brunnen gab es nur „acqua non potabile“ – kein Trinkwasser. Menschen hatte ich zuletzt vor 1,5 Stunden gesehen und mein Freund war wie so oft mit seinem Kameraobjektiv an einer erotischen Grabstatue hängen geblieben. Um mich herum gab es nur den Tod. Zugegeben häufig im schönen Antlitz, aber nach 3,5 Stunden hatte ich mich auch daran schwindelig gesehen und fotografierte nur noch die absoluten Sahnestücke römischer Grabkunst. Ich war mit Friedhofdetails so vollgesogen wie die nervigen Mücken, die sich an meinem Angstschweiß labten.

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Vierbeinige Grabwächter

friedhof-rom-vierbeinige-grabwaechterJedes Geräusch ließ mich aufhorchen. Denn ganz allein war ich nicht. Ab und zu sah ich ein paar Fellohren oder eine Schwanzspitze durch die Sträucher huschen. Manchmal lagen sie auch wie vierbeinige Grabwächter dekorativ dösend auf den Grabplatten: die Felidae. „Das Leben ist erst der Anfang“, flüsterten sie mir eine alte Katzen-Weisheit zu. Und es fiel mir erst auf dem Friedhof auf, dass ich im ganzen Rest von Rom keine eine Katze gesehen hatte. Sie waren alle hier. Wer braucht schon Menschen, wenn er Katzen hat? Ihre Gegenwart tröstete mich.

rom-katzen-friedhof„Friedhöfe sind sehr lebendige Orte. Sie verschaffen nicht nur den Toten Ruhe, sondern auch viel Lebendem – vor allem in den Städten. Die Aristokratie in den Nekropolen der Welt sind die Katzen. Sie haben sich Reservate geschaffen, steinerne Trutzburgen und düster-barocke Wochenbetten zwei Mal im Jahr. Die ehrfurchtgebietende und ein wenig einschüchternde Umgebung erscheint ihnen angemessen. Allerdings findet man sie nur auf alten Friedhöfen oder in den alten Bezirken. Noch nie habe ich auf neuen Friedhöfen und in den neu angelegten Totenvierteln Katzen gesehen. (…) Dort fehlen ihnen die Geheimnisse, zu viel falsches Leben mit Reiserbesen und Schäufelchen, Gießkanne und Heckenschere macht sich zu schaffen, jenes armselige Gewusel, das den Tod leugnen will, wegkehren und geradeschneiden und in Reih und Glied ausrichten, auf dass die Angst und die großen Fragen verschwänden.“

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Aristocats in Rom

So wunderbar zutreffend beschreibt es die Katzenliebhaberin und Schriftstellerin Eva Demski in ihrem Bildband „Die Katzen von Montmartre“. Wenn es ums eigene Sterben geht, sind Katzen ja äußerst diskret – aber offenbar lieben gerade sie, die mal mindestens sieben Leben haben, das Vergängliche.

„Dicke Moospolster und Efeugestrüpp, eingesunkene Grabplatten, Spalten, die in Sarkophagen klaffen, gefallene Engel, das alte, schöne Bühnenbild des Todes: Da fühlen sie sich wohl. Da richten sie sich ein und haben ihre stillen Haushalte, in die sie nur wenigen Menschen Einblick gestatten.“

Diese Kleine mochte ich wirklich.
Diese Kleine mochte ich wirklich.

Eva Demski ratschlagt „Der Mensch kann von Katzen nur lernen. Sie können ihm die Stadt zeigen, Grundstücke, Ruinen und Keller…“ – vielleicht auch den Weg zum Ausgang? Ich trottete matt weiter. Wie lange hat dieser Friedhof eigentlich geöffnet? Besser nicht drüber nachdenken. Weitersuchen! Irgendwann sah ich von einer Anhöhe aus ein breites, plattgetretenes graues Band – die Promenadenstraße hinter dem Haupteingang. Jaaaaa, Sieg! Auf den letzten hundert Metern suchte ich wieder die Grabstätten nach den Namen Sergio Leone und Marcello Mastroianni ab. Aber direkt an den Weg hatte man ihre Gräber nicht gesetzt. Schade.

Ich weiß nicht, wie viel ich vom Monumentalfriedhof Roms tatsächlich gesehen und erlaufen habe. Mutmaßlich reichte mein kleines Abenteuer gerade mal für die Hälfte. Den Rest gebe ich mir beim nächsten Rom-Besuch, aber nur noch mit „Bedienungsanleitung“.

Der protestantische Friedhof hinter der Pyramide

cestius-pyramideDer zweite, sehenswerte Friedhof in Rom entstand hinter der muss-man-gesehen-haben-Pyramide des römischen Volkstribuns Caius Cestius Epulo. Sich eine Pyramide als Grabmal zu bauen – zwischen 18 und 12 v. Chr. – war ein geschickter Schachzug wider das Vergessen seiner selbst. Ein Star war Caius Cestius seinerzeit nicht, aber aufgrund seiner Pyramide wird bis heute über ihn gesprochen. Immerhin hatte er finanzielle Mittel ohne Ende und ein Jahr das Amt des stellvertretenden Regierungschefs (Prätor) inne. Vermutlich war Caius Cestius ein Opfer der „Ägyptomanie“, die seit der Eroberung Kleopatras in Rom Einzug hielt. Vielleicht litt er aber auch unter dem von mir entdeckten „Pharao-Syndrom“ und sagte sich: ‚Selbst wenn ich meine Pyramide nur ein Viertel so hoch wie die des Cheops bauen lasse, werde ich ewigen Ruhm ernten.‘ Besichtigen kann man sie nur nach Absprache in speziellen Führungen, aber wer wissen möchte, wie sie und Cestius’ Grabkammer von innen ausschaut, kann sich hier ein Auge holen.

Cestius-Pyramide mit dem Stadttor Porta San Paolo
Cestius-Pyramide mit dem Stadttor Porta San Paolo

Die Pyramide befindet sich außerhalb Roms, an der Ausfallstraße zum Hafen von Ostia, der Via Ostiensis. Denn selbst Caius Cestius durfte sein Grab nicht innerhalb der Stadt erbauen. Damit hatte der wuchtige Spitzkörper sogar noch echte Standortvorteile. So wurde die Cestius-Pyramide knapp 300 Jahre nach ihrem Bau 271 n.Chr. in die Aurelianische Stadtmauer Roms integriert, wo sie als unüberwindliche Wehranlage diente. Den Rest erledigte das daneben stehende trutzburgenhafte Stadttor Porta San Paolo, durch das heute stündlich hunderte Autos und Vespas rauschen. Davon völlig unbeeindruckt pyramidisiert Cestius’ Grabmal in Erhabenheit vor sich hin und schirmt den kleinen Friedhof dahinter komplett vom Lärm ab.

Grabwiese hinter der Pyramide
Grabwiese hinter der Pyramide

Rom sehen und sterben

Wer nach Rom reiste, hier krank wurde oder tot über dem Zaun hängen blieb, mit dessen Leiche wusste man früher nicht wohin. Der Campo Verano war nur katholischen Italienern vorbehalten (später gab es auch eine jüdische Abteilung).

Ab 1738 bestattete man auf der großen Wiese hinter der Cestius-Pyramide Nicht-Katholiken jeglicher Herkunft und Konfession, die in Rom verstarben. Offiziell gab es den nicht-katholischen Cimitero acattolico aber erst seit 1821 und Beerdigungen durften lange nur bei Nacht stattfinden. Eine kleine Auflage – oder besser Schikane – der päpstlichen Verwaltung Roms.

rom-percy-bysshe-shelley-grab-graveDer Friedhof hinter der Pyramide wird auch Cimitero degli Inglesi genannt, weil auf ihm viele berühmte Engländer bestattet sind. Aber auch Deutsche (u.a. August von Goethe), Amerikaner, Norweger, Russen und nicht-katholische Italiener, die es auch gegeben haben soll. Doch nicht jeder auf dem protestantischen Friedhof Roms liegende Tote war evangelisch-protestantischen Glaubens. Es sind auch einige Atheisten darunter, wie der englische Schriftsteller Percy Bysshe Shelley (1792–1822), der Ehemann von Mary „Frankenstein“ Shelley.

Auf dem Cimitero acattolico liegt auch der jung verstorbene John Keats (1795–1821). Er war neben Lord Byron und Percy Shelley einer der wichtigsten Dichter der englischen Romantik. John litt an Tuberkulose und reiste 1820 wegen des besseren Klimas auf Einladung von Percy Shelley mit seinem engen Freund Joseph Severn nach Rom, wo sie zusammen in Shelleys Haus an der Piazza di Spagna lebten. Obwohl es hier mit John kurzzeitig bergauf ging, verstarb er ein Jahr später im Alter von 25 Jahren doch an Tuberkulose. Seinen Grabstein fand ich hinter der Cestius-Pyramide auf dem Begräbnisfeld. Heute ist es eine wunderbar gepflegte Wiese und ich badete meine geschundenen Füße im weichen Teppich. Auf John Keats’ Grabstein steht nicht sein Name, sondern: This grave contains all that was mortal of a YOUNG ENGLISH POET Who, on his Death Bed, in the Bitterness of his Heart, at the Malicious Power of his Enemies, Desired these Words to be engraved on his Tomb Stone: Here lies One Whose Name was writ in Water. (24th Feb 1821)

Das Grabmal von John Keats (links) und seinem Freund Joseph Severn
Das Grabmal von John Keats (links) und seinem Freund Joseph Severn

John Keats’ Name steht stattdessen auf dem Grabstein seines treuen Freundes Joseph Severn (1793-1879): Devoted friend & death-bed companion of John Keats whom he lived to see numbered among the immortal poets of England.  Welch emotionale Dimension und Tragik! Nach über 50 Jahren verehrte Severn seinen Freund Keats für seine Poesie so sehr, dass er ihm seine eigene Grabinschrift widmete. Romantiker!

Grab von William Wetmore Story (1819-1895)
Grab des berühmten, amerikanischen Bildhauers William Wetmore Story (1819-1895). Den Trauerengel schuf er für das Grab seiner Frau, in dem er sich ebenfalls begraben ließ.
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Grüne Totenstille in Rom

Der protestantische Friedhof von Rom ist nicht nur konfessionell das Gegenteil des Campo Verano. Er ist eher klein, hat wie auf einem Reißbrett angelegte, saubere Wege und zieht sich sanft den recht flachen Tonscherben-Hügel hinauf. Von der oberen Friedhofsmauer konnte ich ihn gut überblicken – hier verlaufen sich weder Zwei- noch Vierbeiner. Letztere huschten leise hinter Grabsteinen hervor oder genossen den Schatten der Buchsbäume. Ich stellte ein mal mehr fest, wie gut Katzen als dekoratives Element taugen ;).

katzen-pyramide-rom-gatti-della-piramideDer Cimitero acattolico ist ein Zufluchtsort für die „Gatti della Piramide“. Hier werden sie mit Hilfe von Spenden der Friedhofsbesucher ver- und umsorgt. Viele vierbeinige Grabwächter haben auch hier im großen Bühnenbild des Todes auf dem protestantischen Friedhof ihre Heimat gefunden.

„Man hat immer gesagt, es sei Tieren nicht eigen, ihren Tod denken zu können. (…) Vielleicht trifft etwas ganz anderes zu: Sie denken den Tod nicht ohne Not, ohne Unmittelbarkeit, sie denken den Lebensmoment. Das Carpe-diem ist ihnen, man sieht es ihnen an, eigen! Sie verderben sich nicht die Gegenwart mit der ewigen angstvollen Beschwörung der Zukunft. Und es wäre eine interessante philosophische Frage, ob die Toten, bei denen sie Heimat gefunden haben, ganz Vergangenheit oder, wie sie, ganz Gegenwart sind.“ (Eva Demski)

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Wer jetzt noch überzeugt werden muss…

… sofort nach Rom zu fahren und diese Friedhöfe und seine Bewohner zu erleben, der schaut sich bitte den 3Sat-Bericht „Ruhe sanft in Rom“ an: http://www.3sat.de/mediathek/index.php?display=1&mode=play&obj=32413

Im Podcast zur Sendung „radioWissen“ von Bayern 2 (danke an Pooly für den Tipp) gab es eine Folge „Die Katze und der Tod“ – sehr interessant. Mittlerweile kann man sie leider nicht mehr online hören, aber sich das Manuskript durchzulesen ist mindestens genauso informativ. Nur nicht ganz so entspannend.

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Route planen zum Cimitero del Verano & Cimitero acattolico

Eine Seite für euch mit den wichtigsten Infos – zum Herunterladen & Mitnehmen auf Reisen: Gratis-Download Gothic Guide Friedhöfe Rom


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